„Verbinden statt spalten“

Vor mehr als 100 Gästen sprach die Journalistin, Autorin und Politikwissenschaftlerin Gilda Sahebi am 3. Dezember 2025 im Dortmunder Rathaus über die Ursachen gesellschaftlicher Spaltung und die Möglichkeiten, ihr konstruktiv zu begegnen. Die Veranstaltung fand im Rahmen des Projekts „Fair-stehen. Fair-ändern. Fair-bünden“ statt, das im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ vom Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMBFSFJ) gefördert wird. Finanziell unterstützt wurde der Abend durch die Koordinierungsstelle für Vielfalt, Toleranz und Demokratie der Stadt Dortmund. 

 

„Wir sind nicht polarisiert – wir werden polarisiert“ 

Ausgehend von ihrem aktuellen Buch „Verbinden statt spalten: Eine Antwort auf die Politik der Polarisierung“ zeigte Sahebi auf, wie politisch und medial erzeugte Spaltungserzählungen wirken. Polarisierung funktioniere häufig über dichotome Gegensätze wie „richtig/falsch“ oder „wahr/unwahr“ – ein Prinzip, das insbesondere von rechtspopulistischen Akteuren strategisch genutzt werde. Sahebis zentrale These: Die Wahrnehmung eines tiefen gesellschaftlichen Risses sei weniger Realität als vielmehr politisch erzeugtes Narrativ. Studien zeigten vielmehr ein hohes Maß an Übereinstimmung und Solidarität innerhalb der Bevölkerung. Dennoch prägten mediale und politische Debatten – etwa zu Migration, Gendern oder „Wokeness“ – oft den Eindruck von unüberbrückbaren Konflikten. 

 

Ein Blick ins Buch: Kulturkämpfe, Corona, Krieg und Wege zu mehr Miteinander 

Im Gespräch gab Sahebi Einblicke in ihr neues Buch, in dem sie zentrale Spaltungserzählungen aufzeigt, um ihre Entstehung, Wirkung und politische Funktion besser verständlich zu machen. Ihre Analyse der Polarisierung gliedert sie in fünf thematische Kapitel, die jeweils zentrale gesellschaftliche Konfliktlinien beleuchten. Sie beginnt mit den gegenwärtigen Kulturkämpfen, in denen vermeintlich „linke Wokeness“ und „rechtes Traditionalismusdenken“ einander gegenübergestellt werden. Im zweiten Kapitel untersucht sie ökonomische Spaltungserzählungen, die Menschen in „fleißig“ oder „faul“ einteilen und dadurch soziale Ungleichheiten legitimieren und zementieren. Die Erfahrungen und Konflikte der Corona-Pandemie bilden den dritten Schwerpunkt, gefolgt von Erzählungen rund um Krieg und Frieden, die gesellschaftspolitische Debatten weltweit prägen. Abschließend widmet sich Sahebi der Frage, wie unser Gehirn und bestehende Machtstrukturen die Wahrnehmung von Polarisierung beeinflussen und welche Wege es dennoch gibt, ein echtes „Verbinden statt Spalten“ zu ermöglichen. 

Während der Lesung aus dem ersten Kapitel betonte Sahebi: „Gemeinschaft herstellen ist das, was Menschen ausmacht.“ Doch der mediale Raum ziehe immer wieder neue symbolische Mauern ein und konstruiere Gruppen, die sich gegenüberstehen. Dies führe zu fortwährenden Projektionen bestimmter problematischer Merkmale auf konstruierte Gruppen und sei für autoritäre Kräfte politisch besonders nützlich. 

 

Zuhören lernen: Ein praktischer Ansatz 

Sahebi verwies auf die Bedeutung von Narrativen für unser Denken: „Es ist wichtig, dass wir Fakten kennen, aber wir funktionieren über Erzählungen, von denen wir glauben, dass sie wahr sind. Wir nehmen die Welt durch diese Erzählungen wahr.“ Menschen orientierten sich stärker an Erzählungen als ihnen bewusst sei. Deshalb sei es wichtig zu verstehen, wie Spaltungserzählungen funktionieren. Gleichzeitig machte sie Mut, konstruktiv gegenzusteuern. Insbesondere Menschen, die zweifeln und in ihren Haltungen noch nicht gefestigt sind, seien oft offen für neue Perspektiven – ein Ausgangspunkt, der auch im Projekt „Fair-stehen. Fair-ändern. Fair-bünden“ genutzt wird. Sahebi formulierte zwei Schritte für gelingenden Dialog: 1.) Loslassen: nicht mit dem Anspruch in Gespräche zu gehen, andere verändern zu wollen; 2.) Verstehen wollen: zuhören, ohne sofort zu bewerten oder zu verurteilen. Zuhören sei eine Fähigkeit, die man bewusst einüben müsse: „Ich beurteile nicht. Ich verurteile nicht. Ich leere meinen Kopf.“ 

 

Engagement zeigt Wirkung 

In der anschließenden Diskussion ging es um die Frage, was jede und jeder Einzelne tun kann, um Polarisierung entgegenzuwirken. Neben dem Appell, „in Beziehung zu bleiben“ und negativen Verzerrungen positive Impulse entgegenzusetzen, gab Sahebi konkrete Empfehlungen: 

  • Mails an öffentlich-rechtliche Redaktionen schreiben, um konstruktive Berichterstattung einzufordern. 
  • Abgeordnete kontaktieren, um Zustimmung oder Kritik zu äußern. 
  • Demonstrieren gehen und Stimme zeigen, wie eine Teilnehmerin betonte. 

Auf die Frage nach „populären Friedensträger*innen“ merkte Sahebi an, dass es zwar engagierte Persönlichkeiten brauche, Veränderung jedoch niemals von Einzelnen ausgehen könne und dass wir als Gesellschaftsmitglieder häufig „zu wenig zuhören“. 

 

Ein Abend der Orientierung und Ermutigung 

Die vielen Fragen und Beiträge aus dem Publikum machten deutlich, wie groß das Bedürfnis nach Austausch und Lösungsfindungen in Zeiten politischer und gesellschaftlicher Spannungen und Unsicherheiten ist. Zugleich zeigte die Veranstaltung, dass neue, verbindende Narrative möglich sind: ein zentrales Anliegen des Projekts „Fair-stehen. Fair-ändern. Fair-bünden“, das vom Multikulturellen Forum, dem Dietrich-Keuning-Haus, dem Planerladen und Train of Hope umgesetzt wird.  

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