Bilder und Worte machen Meinung

Mann mit Sonnenbrille und Lupe vor den Augen
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Ich sehe was, was Du nicht siehst

Eine vollverschleierte Frau mit gesenktem Kopf, darunter die Worte „Allahs rechtlose Töchter“, zieren das Titelcover einer auflagenstarken Zeitschrift. Eine berühmte Tageszeitung tituliert großflächig: „ASYLBETRUG – So leicht ist es, in Deutschland abzukassieren“. Eine nicht minder bekannte Wochenzeitung widmet sich der privaten Seenotrettung von Geflüchteten mit dem Aufmacher „Oder soll man es lassen?“.

Was wir über die Welt wissen, erfahren wir aus den Medien. Doch Medien bilden die Realität nicht einfach nur ab. Wie wir uns zu bestimmten Themen und Ereignissen positionieren, zu wem oder was wir uns zugehörig fühlen, wer zu „uns“ oder „den Anderen“ gehört, kurzum: was sichtbar und sagbar ist, hängt im Wesentlichen vom medialen Diskurs ab.

Bilder und Worte machen also Meinung. Der Einfluss der Massenmedien ist bei der Meinungsbildung nicht zu unterschätzen. Wer sich diesen Mechanismus vergegenwärtigt, erkennt auch die enorme Bedeutung der Medien bei der Entstehung und Verbreitung von Stereotypen, Vorurteilen und rassistischen Weltbildern. Denn:

Rassismus ist kein natürlicher und unabänderlicher Zustand, sondern er wird durch diskursives und kommunikatives Handeln immer wieder reproduziert.

Durch ihre Berichterstattung über gesellschaftliche Phänomene und Ereignisse generieren Medien rassifiziertes und kulturalisiertes Wissen. Häufig steckt nicht einmal Absicht dahinter, denn Redaktionen und Autor*innen bedienen sich der im medialen Diskurs vorherrschenden Bilder und Narrative. Durch ihre eigene Publikation tragen sie wiederum zur Reproduktion ebendieser bei.

Am Beispiel der medialen Berichterstattung über Geflüchtete lässt sich dies gut veranschaulichen. Denken wir an die Jahre 2015/2016 zurück, rufen wir im inneren Auge schnell Bilder von Geflüchteten ab, die in überfüllten Booten auf dem Meer verharren oder Grenzzäune auf dem europäischen Kontinent überwinden. Die Rede war von „Massen“, vom „Ansturm“, von einer „Welle“ oder „Flut“.

Diese stark negativ konnotierten Metaphern wurden nicht zufällig gewählt, sondern spiegeln eine auf Rassismus fußende europäische Sicht auf geflüchtete Menschen wider, die den wenigsten von uns überhaupt bewusst ist. Daniela Müller, Stipendiatin an der Hochschule Magdeburg-Stendal, kennt weitere Beispiele aus den Medien. Mehr als zwei Jahre lang war sie im Forschungsprojekt „Geschlechterverhältnisse und Flucht-Migration in den Medien“ an der Universität Göttingen tätig und hat erforscht, wie die Zuwanderung von geflüchteten Menschen in den vergangenen Jahren medial verhandelt wurde.

Geht es um die Belastungen für den Sozialstaat, die geringe Akzeptanz von Frauen insbesondere im Arbeitsumfeld (insbesondere mit Blick auf weibliche Vorgesetzte) oder die mutmaßliche Weigerung Deutsch zu lernen, werden Geflüchtete in der Regel als homogenes Kollektiv dargestellt und vorverurteilt. Andere Einflussfaktoren wie soziale Herkunft, Geschlecht, Alter oder Bildungsgrad spielen kaum eine Rolle.

Es sind „die Flüchtlinge“, die für dies oder jenes verantwortlich sind. Negative Zustände sind die Folge eines kollektiven Versagens „der Anderen“, und nicht der Aufnahmegesellschaft.

Auf diese Weise verschiebt der mediale Diskurs kritische Aspekte in Sphären außerhalb des politischen und gesamtgesellschaftlichen Verantwortungsbereichs. Eine Differenzierung innerhalb der Gruppe geflüchteter Menschen scheint sich dabei in der Unterscheidung zwischen „dankbar“ und „undankbar“ zu erschöpfen.

Gleichwohl nahm die Präsenz von individualisierten und positiv konnotierten Berichten in den vergangenen Jahren zu, was jedoch nach Müller nicht automatisch zu einer Steigerung an diskursiver Teilhabe geflüchteter Menschen führe. Denn sowohl Deutungshoheit als auch Handlungsmacht bleibt dieser Bevölkerungsgruppe nach wie vor verwehrt. Sie sind noch immer keine Subjekte, sondern Objekte der Berichterstattung. Das Verhältnis zwischen Aufnahmegesellschaft und Zugewanderten bleibt somit asymmetrisch und apolitisch.

Dies zeigt sich auch im medialen Diskurs über Flüchtlingshelfer*innen. Geflüchtete werden „mitgebracht“, „aus der Isolation geholt“, „betreut“. Sie verbleiben damit in einer passiven Rolle, während Akteur*innen der Aufnahmegesellschaft paternalistisch handeln – oder zumindest so dargestellt werden („Wir müssen ihnen unsere Werte vermitteln“).

Dass der mediale Unterstützungsdiskurs auch in einem anerkennenden Verhältnis stattfinden kann, zeigt Müller anhand von Berichten, welche die Aktivität und Eigenverantwortung in den Mittelpunkt stellt. Darin „informieren sich“ Geflüchtete über etwas oder „nehmen teil“ an den zivilgesellschaftlichen Aktivitäten.

Eher positiv und dynamisch konnotiert ist die Berichterstattung im Arbeitsmarktdiskurs. Hier überwiegt das Bild des leistungsbereiten, ehrgeizigen Flüchtlings. Die Geschichten nehmen vor allem eine nutzenorientierte Sichtweise (Stichwort: Fachkräftemangel) ein. Auch hier werden kulturelle Differenzen stark überinterpretiert, werden jedoch kaum noch mit einer Problemzentrierung in Verbindung gebracht. Als „in der Differenz gleichwertig“ bewertet Müller dieses hier vorherrschende Deutungsmuster, das sich zwar von der rassifizierten Hierarchisierung gelöst hat, die Kulturalisierung des „anders-sein“ aber noch immer nicht zugunsten einer Fokussierung auf Gemeinsamkeiten hinter sich lässt.

Wie kann der mediale Reproduktionskreislauf aus Stereotype, Vorurteile und Rassismen durchbrochen werden? Welche Gegennarrative sollte die deutsche Medienlandschaft aufgreifen? Und welche strukturellen Rahmenbedingungen könnten eine diversitätssensible Berichterstattung stärken?

Mit diesen Fragen beschäftigt sich u.a. unser Projekt „Muslime im Dialog“. „Auch der mediale Islamdiskurs findet in Deutschland häufig in einem negativen und problemzentrierten Bezugsrahmen statt und (re-)produziert Stereotype, die bestehende antimuslimische Ressentiments in der Gesellschaft verstärken“, erklärt die Projektmitarbeiterin Larina Kleinitz. Das Projekt möchte dieser Entwicklung entgegenwirken und nimmt die vielfältigen Stimmen, Erfahrungen und Perspektiven von Musliminnen und Muslime in den Fokus.

Kleinitz und Müller sind sich einig, dass den meisten Journalist*innen oft ein rassismuskritisches Problembewusstsein fehle. Dieses müsse ihnen viel stärker als bisher vermittelt werden, idealerweise bereits in ihrer Ausbildung. Auch im Berufsalltag sollten sie regelmäßig für diese Thematik sensibilisiert werden.

Darüber hinaus müsste sich auch strukturell etwas ändern: Kleinitz greift die Ergebnisse einer Studie der Neuen Deutschen Medienmacher auf, nach welcher auch noch im Jahr 2020 kaum Chefredaktionen durch Menschen mit Migrationshintergrund besetzt seien. Die fehlende Repräsentanz dieser Bevölkerungsgruppe kann sowohl als Ursache als auch als Folge unreflektiert rassistischer Berichterstattung gedeutet werden.

Denn nicht nur Klischees und Vorurteile reproduzieren sich immer wieder neu, sondern auch die Schlüsselpositionen in den Medienhäusern werden immer wieder mit Repräsentant*innen der Mehrheitsgesellschaft besetzt.    

Um diese Strukturen zu durchbrechen brauchen wir vor allem mehr kulturelle Vielfalt in der Medienlandschaft insgesamt, ein wirkungsvolles Diversity-Management in den Medienhäusern und mehr rassismuskritische Bildung, Ausbildung und Weiterbildung bei den Medienschaffenden selbst. Nur so können wir einen gesamtgesellschaftlichen Prozess in Gang setzen, der Vielfalt wertschätzt und auch medial angemessen teilhaben lässt.