Wirtschaftliche Stärke mit und durch Vielfalt
Ein Gastbeitrag von Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart
Dass unternehmerischer Erfolg nicht nur mit, sondern gerade durch Vielfalt in Unternehmen befördert wird, sollte im Grunde längst ein Allgemeinplatz sein. – Der Zusammenhang ist wissenschaftlich wie auch durch das konkrete Erleben unzähliger Menschen in unserem kulturell vielfältigen Nordrhein-Westfalen hinreichend belegt.
Verschiedene Sichtweisen, die aus unterschiedlichen kulturellen Hintergründen gewonnen werden, können Kreativität und wirtschaftlichen Erfolg beflügeln. Übertragungen von Produkt- und Geschäftsideen aus anderen Kulturkreisen bieten Chancen für erfolgreiche Unternehmensgründungen.
Innerhalb der Unternehmen, aber auch auf der Ebene der gesamten Unternehmenslandschaft ist kulturelle Vielfalt Teil unseres starken nordrhein-westfälischen Wirtschaftsstandortes: Unternehmen, die von Menschen mit Einwanderungsgeschichte gegründet werden, tragen erheblich zu Wirtschaftskraft und Beschäftigung bei. Und als größter deutscher Standort für ausländische Direktinvestitionen ist unser Land eng in internationale Handels- und Wirtschaftsbeziehungen eingebunden. Weltoffenheit, Vielfalt und Interkulturalität sind in Nordrhein-Westfalen fester Bestandteil unserer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Struktur.
Gleichzeitig lehren uns die zuletzt noch einmal stärker ins öffentliche Bewusstsein getretenen Diskriminierungserfahrungen von Menschen mit Migrationshintergrund und die durch Gewalttaten auf schreckliche Weise deutlich gewordene Gefahr durch den Rechtsextremismus, dass wir für diese Struktur, für unsere von Vielfalt und Toleranz geprägte Gesellschaft jeden Tag gemeinsam und entschlossen eintreten müssen.
Positive Entwicklung auf einem noch langen Pfad
Bei der Integration als gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Teilhabe ist eine positive Entwicklung zu vermerken, die weiterer Stärkung bedarf – auch mit Blick auf die große Zahl der geflüchteten Menschen, die in unserem Land eine neue Heimat gefunden haben.
Das Integrationsmonitoring der Landesregierung zeigt, dass Migrantinnen und Migranten heute deutlich bessere formale Qualifikationen besitzen als vor 10 oder 15 Jahren, also mehr und höhere Bildungs- und Berufsabschlüsse.
Ihre Arbeitslosigkeit ist gesunken, sie verdienen mehr als früher und verteilen sich auf mehr Berufe als bisher, erweitern ihre Arbeits- und Geschäftsfelder über Gastronomie, Handel und Dienstleistungen hinaus in Gewerbe und produktions- und wissensbasierte Dienstleistungen. Ihre Vernetzung und Teilhabe an unserer Gesellschaft nehmen kontinuierlich zu.
Auch bei migrantischen Unternehmen setzt sich diese positive Entwicklung in Nordrhein-Westfalen fort: Wie eine noch unveröffentlichte Studie der Bertelsmann Stiftung ausweist, haben sich die von Menschen mit Einwanderungsgeschichte gegründeten Unternehmen von 2005 bis 2018 dynamisch entwickelt: Ihre Zahl nahm von rund 130.000 auf 176.000 zu.
Ihr Qualifikationsniveau hat sich erhöht und liegt fast gleichauf mit dem Bundesschnitt: Ende 2018 hatten 15 Prozent ein niedriges, 59 Prozent ein mittleres und 20 Prozent ein hohes Niveau. Und immerhin ein gutes Drittel der Selbstständigen sind Frauen. Migrantische Unternehmen sind ein Jobmotor im Land, beschäftigen überproportional viele Auszubildende und sie widerstehen der rückläufigen Tendenz bei Unternehmensgründungen stärker als andere.
Der trotz allem bestehende Abstand zur deutschen Bevölkerung bei Bildungs- und Berufsabschlüssen, der Betroffenheit von Arbeitslosigkeit, Verdienst sowie Konzentration in gewinnärmeren Branchen zeigt aber, dass der eingeschlagene Pfad noch weiter zu beschreiten ist – eine steilere Kurve der positiven Entwicklung wäre wünschenswert. Gleiches gilt für die Unternehmerinnen und Unternehmer mit Migrationshintergrund, die bei Verdienst, Kapitalisierung, Qualifikation und Vernetzung noch aufholen können.
Unterstützung in der Corona-bedingten Krise
Die Corona-Pandemie hat uns alle unerwartet und plötzlich getroffen, viele Unternehmen in existenzieller Weise. Migrantinnen und Migranten waren und sind von den Corona-bedingten Einschränkungen in besonderer Weise betroffen – die beschriebenen Abstände zur wirtschaftlichen Situation im Hinblick auf Verdiensthöhe, Gefahr der Arbeitslosigkeit und Kapitalisierung verschärfen sich in der Krise..
Zudem waren oder sind die stark durch Beschäftigte und Selbstständige mit Migrationshintergrund geprägten Branchen wie Gastronomie und Hotellerie, Touristik und Events, Handel und Logistik sowie Dienstleistungsbereiche wie Pflege, Reinigung und Sicherheit besonders von den Einschränkungen betroffen.
Umso erfreulicher ist, dass die nordrhein-westfälische Wirtschaft bereits große Fortschritte macht, die Auswirkungen der Corona-Pandemie zu bewältigen. Als Landesregierung unterstützen wir die Unternehmen dabei, die Krise hinter sich zu lassen und gestärkt in die Zukunft zu gehen. Mit der NRW-Soforthilfe 2020 – dem größten und schnellsten Förderprogramm in der Landesgeschichte – konnten binnen weniger Wochen im März und April rund 435.000 Anträge bewilligt und 4,5 Milliarden Euro ausgezahlt werden.
Verständnis und Qualifizierung für eine steilere Kurve
Der wichtigste Hebel, um Beschäftigte wie Selbstständige – mit, aber auch ohne Migrationshintergrund, während wie nach der Krise – zu fördern, sind Unterstützungsstrukturen bei Bildung, Beratung und Qualifizierung. Parallel zu dieser Stellschraube sind auf gesellschaftlicher Ebene alle sprichwörtlichen Hebel in Bewegung zu setzen, das Verständnis für die enormen Chancen einer vielfältigen Wirtschaft und Gesellschaft zu verbreitern und zu vertiefen.
Beides ist Anliegen und Gegenstand der Arbeit des Multikulturellen Forums, das seit vielen Jahren mit vielfältigen Angeboten bei Arbeitssuche, Weiterbildung, beruflicher Anerkennung, Spracherwerb oder Beratung beim Umgang mit Behörden sowie sozialen Anliegen wichtige Unterstützungsarbeit leistet und für interkulturelle Öffnung und Vielfalt als wichtigen Erfolgsfaktor begeistern möchte.
Das Forum hat sich in der westfälischen Region des Ruhrgebiets Ansehen und Anerkennung erarbeitet und stützt sich dabei auch auf die enge Vernetzung mit Partnern wie den Wirtschaftsförderungen Hamm und Kreis Unna, der Handwerkskammer und der IHK Dortmund, der Stadt Dortmund und dem Verein Selbständiger Migranten im Kreis Unna, Hamm und Dortmund. Der Anerkennung schließen wir uns als Landesregierung an.
Gerne hätte ich nach Staatssekretär Christoph Dammermann, der 2018 als Schirmherr bei der Verleihung des „Interkulturellen Wirtschaftspreises“ fungierte, in diesem Jahr die Veranstaltung besucht. Leider fällt diese Preisverleihung wegen der pandemischen Lage aus.
Die Corona-bedingten Einschränkungen machen Kreativität nötig und erfreulicherweise auch in hohem Maße möglich. Digitale Tools halfen während des Lockdowns, Kontakt zu halten, Videos erweitern oder ersetzen das analoge Broschürenangebot, Speed Datings auf einem Parkdeck – eine Aktion der Handwerkskammer Düsseldorf – bringen Betriebe und potenzielle Auszubildende auch unter strengen Hygieneregeln zusammen.
Wenngleich gerade für eine Beratungsinstitution wie das Multikulturelle Forum der persönliche Kontakt auf Dauer unverzichtbar ist, so sollten wir die Kreativität und den durch den Lockdown bedingten Schub für digitale Technik auch über die Zeit der Krise hinaus bewahren.
Das Thema der interkulturellen Öffnung und das Anliegen von Qualifizierung werden nicht schrumpfen, sondern in einer immer vielfältigeren und immer stärker digitalisierten Gesellschaft im Gegenteil an Relevanz gewinnen. In Nordrhein-Westfalen haben wir beste Bedingungen, um diesen Aufgaben gerecht zu werden: Eine vielfältige Gesellschaft, eine leistungsfähige und innovative Wirtschaft mit starker internationaler Einbindung, gute Bildungs- und Ausbildungsstrukturen und engagierte Akteure wie das Multikulturelle Forum.
So kann gelingen, was das Leitmotiv des Forums – „Stark durch Vielfalt“ – in doppelter Hinsicht verspricht: Das Empowerment der Menschen mit Migrations- oder Fluchthintergrund und die „Power“ einer mit und durch Vielfalt wachsenden Wirtschaft in einer globalisierten Welt.