Jugendliche diskutieren mit Jungparteien

Jugendliche im Saal beim Multikulturellen Forum in Lünen

Migrantische Jugend und Politische Partizipation

Am kommenden Sonntag haben die Bürger:innen in Nordrhein-Westfalen die Wahl. Sie entscheiden darüber, welche Personen und Parteien im Parlament des bevölkerungsstärksten Bundeslandes Deutschland vertreten sein werden. Alle Bürger:innen? Nicht ganz, denn von den rund 18 Millionen Menschen in NRW sind nur knapp 13 Millionen wahlberechtigt. 

Zu den gut 5 Millionen (immerhin mehr als ein Viertel der NRW-Bevölkerung) nicht Wahlberechtigten gehören auch Sidra, Ahmed, Mizgin und die anderen Schüler:innen der internationalen Förderklasse beim Lippe-Berufskolleg in Lünen. Sie alle leben seit einigen Jahren in Lünen, gehen hier zur Schule, und haben inzwischen das 18. Lebensjahr vollendet. Sie sprechen Deutsch, doch eine Stimme haben sie am kommenden Sonntag nicht.

Die Teilnahme an einer Wahl ist bei weitem nicht die einzige Form der politischen Partizipation in Deutschland. aber es ist die bedeutendste, auch bei Jugendlichen. Laut einer Studie des Deutschen Jugendinstituts beteiligen sich drei von vier Jugendlichen an Wahlen, weit abgeschlagen folgen auf den weiteren Plätzen Unterschiftensammelaktionen (34%), Kaufentscheidungen (28%) oder Demonstrationen (15%).

Aus diesem Grunde spielt das Thema Wahlen (ob auf Bundes-, Landes- oder Kommunalebene) in unserer politischen Bildungsarbeit stets eine wichtige Rolle, egal ob...oder vielleicht sogar gerade weil unsere Zielgruppe kein eigenes Wahlrecht hat. Das politische Empowerment marginalisierter Gruppen gehört zu den Grundpfeilern unserer Einrichtung.

Einblick in politisches Engagement vor Ort

"Im Projekt "LüniPa"  behandelten wir die Landtagswahlen über mehrere Wochen: Wir beschäftigten uns mit dem Wahlsystem ebenso wie mit den Inhalten der Parteien, die zur Landtagswahl antreten", erklärt Sibel Turhan. Zur Vertiefung organisierte sie auch einen Workshop mit der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Die Projektleiterin findet es ebenfalls bedenklich, dass die Jugendlichen kein Stimmrecht haben, doch sie fokussiert lieber auf die Partizipationsmöglichkeiten: "Zum Beispiel darf jede:r in Deutschland politisch mitdiskutieren, in Parteien mitwirken und dort auch aktive Mitglieder werden".

Kurzum lud sie die Jungparteien aus Lünen und Dortmund ins Multikulturelle Forum ein, mit dem Ziel eines Austauschs auf Augenhöhe zwischen Gleichaltrigen. Die Jugendlichen sollten nicht nur die politischen Parteien aus Lünen näher kennenlernen, sondern auch die Menschen, die sich darin engagieren:

"Durch Peer-to-Peer-Education erhöhen wir das politische Interesse der Jugendlichen am effektivsten. Und wer sagt denn, dass nicht die eine oder der andere mal einer dieser Parteien beitritt", erklärt Turhan.

Das Konzept ging auf: Tatsächlich kamen an diesem Nachmittag mit Pascal (Junge Liberale), Moritz (Junge Union), Lara Marie, Michelle und Lars (dreimal Grüne Jugend) und Lukas (Jusos) die Vertreter:innen der vier bedeutendsten Parteien. Die Gäste stellten sich zunächst vor und gaben dann einen kleinen Einblick in ihre Arbeit.

Poltische Themen und Forderungen

Eine wichtige erste Erkenntnis war, dass das Thema "Wahlen" bei den Jungparteien gar nicht unbedingt an erster Stelle stand. Für das politische Engagement vor Ort spielen Demos, Petitionen oder auch Gewerkschaftsarbeit eine viel wichtigere Rolle. Handlungsfelder also, bei denen die Jugendlichen nicht ausgeschlossen werden.

Was die Jugendlichen denn am Liebsten ändern würden, wollten die Vertreter:innen der Jungparteien dann wissen. Die Antworten waren sehr unterschiedlich, zum Teil abstrakt, manchmal aber auch ziemlich konkret. So kam ein Beispiel aus den Schulen bei vielen gut an, und dass die Toiletten dort dringend sanierungsbedürftig sind, unterschrieben eigentlich alle Beteiligten.

Jugendliche im Saal beim Multikulturellen Forum in Lünen

Auch die Flüchtlingspolitik war an diesem Tag Thema: Einige stellten eine gewisse Ungleichbehandlung zwischen den Asylsuchenden von 2014/2015 und den in diesen Tagen flüchtenden Ukrainier:innen fest. Was den Zugang zu Bildung und auch die Anerkennung von Abschlüssen betrifft, so gäbe es nicht die gleichen Chancen zwischen den Schutzsuchenden.

Beim Thema Religionsunterricht wurde kritisiert, dass die christlichen Religionen zu sehr im Mittelpunkt stünden, obwohl viele Schüler:innen eine andere Religion haben oder konfessionslos sind. Man müsse ja nicht immer nur den Dom besuchen, sondern könne auch mal andere Gotteshäuser kennenlernen, spitzte es ein Teilnehmer treffend zu. Ebenfalls mehrheitsfähig: ein Ethikunterricht, der auch die verschiedenen Religionen behandelt und den Fokus dabei auf Gemeinsamkeiten legt.

Besonders aufmerksam verfolgten die Jungparteimitglieder die Erfahrungsberichte der Jugendlichen mit den Ausländerbehörden. Zu bürokratisch, zu unverständlich, kaum Unterstützung für Betroffene. Großes Verständnis auf Seiten der Jungparteien, deren Vertreter:innen anschließend ins Grübeln kamen, ob in Behörden wie diesen nicht vielleicht doch vom Grundsatz "Deutsch ist die alleinige Amtssprache" abgewichen werden könne, sodass wenigstens die Dokumente auf unterschiedlichen Sprachen abgebildet würden.

Auch der Klimaschutz sowie der ÖPNV spielten an diesem Tag eine Rolle, doch irgendwann war schlicht keine Zeit mehr, um auch diese Themen weiter vertiefen zu können. Stattdessen wurden die Teilnehmenden von den Jugendparteien eingeladen, doch mal zu den wöchentlichen Treffen zu besuchen. In Kürze träfe man sich zum Beispiel am Seepark in Lünen. Und wer sich lieber online austauschen möchte, könne dies gerne über die jeweiligen Instagram-Accounts tun.

Dankend nahmen die Jugendlichen diese Angebote an und freuten sich über das offene Ohr der Jungparteien an diesem Tag.

 

 

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