Krude Meinungsmache auf Kosten von Minderheiten
Offener Brief an den WDR-Intendanten Tom Buhrow
Sehr geehrter Herr Buhrow,
am Abend des 29.01.2021 strahlte der WDR die Wiederholungssendung des Formats „Die letzte Instanz“ aus. Als am Wochenende auf Twitter berechtigterweise große Kritik aufkam, reagierte lediglich Ihr Social Media Team; gestern nun folgte die Entschuldigung von WDR-Unterhaltungschefin Karin Kuhn. Was alle Entschuldigungsversuche seitens des WDR vereint, ist die Annahme, man habe lediglich bei der Gäst:innenauswahl Fehler begangen. Da wir diese Annahme nicht teilen können, möchten wir nun mit diesem offenen Brief auf die bisherigen Statements seitens des WDR reagieren.
In der ersten Stellungnahme durch das WDR-Social-Media-Team, ist die Rede davon, dass der Verlauf der Sendung nicht so gewesen sei, wie die Redaktion es geplant und sich vorgestellt habe. Unsere Vorstellung von gutem Journalismus beinhaltet, dass Sendungen intensiv vorbereitet, dass Themen bewusst gesetzt und dass Gäst:innen gezielt eingeladen werden. So kennen wir es aus jahrelanger Zusammenarbeit mit vielen verschiedenen Formaten des WDR, dessen Arbeit wir überwiegend schätzen.
Umso mehr stellt sich uns die Frage, was genau die Vorstellung der Redaktion „Die letzte Instanz“ für ihre Sendung nun tatsächlich gewesen ist. Denn die Gäst:innen dieser Ausgabe bilden eine homogene Einheit aus nicht von Rassismus betroffenen Menschen, die sich allesamt bisher in keiner Weise mit der Thematik auseinandergesetzt haben.
Wer dann auf die Redaktion und den Moderator hofft, die mit gut recherchierten Hintergrundinformationen dem Thema doch noch gerecht werden, wird leider enttäuscht: Moderator Steffen Hallaschka eröffnet die Sendung mit den Worten „Willkommen zu Ihrem Meinungsbringservice im WDR“, um dann zu einem Einspieler überzugehen, der schon eingangs den Zuschauer:innen suggeriert, das Wort „Z*“ sei ein völlig normales Wort und die Aufregung um seinen Gebrauch übertrieben.
Hallaschka greift z.B. auch nicht nachhaltig ein, als praktisch das gesamte Panel mit Wort, Gestik und Mimik den Zentralrat der Sinti und Roma als „ein-zwei Personen, die nichts Wichtigeres zu tun haben“ diskreditieren. Eine Aufzählung, die alle von den einzelnen Teilnehmenden der Runde reproduzierten Rassismen beinhaltet, würde mehrere Seiten in Anspruch nehmen.
Wie oft wurde in den letzten Monaten und Jahren lamentiert, dass das „Unsagbare sagbar wird“, dass „auf Worte Taten folgen“ – man hätte glauben können, die Tatsache, dass unsere Sprache unsere Wirklichkeit formt, wäre endlich verstanden worden.
Fatalerweise ermöglicht die WDR-Sendung „Die letzte Instanz“ aber – eben nicht nur durch die inzwischen mehrfach Ihrerseits eingeräumte unpassende Besetzung der Talkrunde, sondern schon durch ihr Konzept, die Einstiegsfrage, den Einspieler und ihren Moderator – genau das: Sie soll eine lockere Stammtischrunde darstellen, bei der es scheinbar in Ordnung ist, jede noch so menschenfeindliche Aussage unwidersprochen in die Reichweiten des WDR zu streuen.
Es ist für uns nicht hinnehmbar, dass weder während der Aufzeichnung, noch nach der Erstausstrahlung der Sendung im November und scheinbar auch nicht nach der berechtigten Kritik an der Wiederholung erkannt wurde, dass hier ein gesellschaftlich bedeutsames Thema, das viele Menschen in NRW direkt berührt, in absolut inakzeptabler Form zur Unterhaltung – und noch viel schlimmer – zur kruden Meinungsmache auf Kosten von Minderheiten missbraucht wurde.
Nach den zahlreichen Anlässen, in denen die Medienlandschaft in Deutschland im vergangenen Jahr das Thema Rassismus auf der Agenda hatte, scheint ein nachhaltiger Lerneffekt nicht eingetreten zu sein. Wir leben in dem Land, das die Verantwortung dafür trägt, dass 500.000 Roma und Sinti von Nationalsozialisten aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dieser Volksgruppe und nach Eintätowieren genau dieser Fremdbezeichnung „Z*“ ermordet wurden.
Gleichzeitig scheut sich der öffentlich-rechtliche Sender des Bundeslandes mit der größten kulturellen Vielfalt in Deutschland nicht davor, Roma und Sinti (und im Laufe der Diskussion auch weiteren von Rassismus betroffene Minderheiten) das Recht auf ihre Selbstbezeichnung abzusprechen und es für sie als zumutbar zu deklarieren, diese ganz unstrittig negativ konnotierte Fremdbezeichnung kritiklos hinzunehmen.
Die am Ende hochgehaltenen roten Karten sollten daher aus unserer Sicht dieser Sendung und den unzureichenden internen Strukturen des WDR gelten, die eine solche Katastrophe nicht verhindert haben.
Ein Fehler diese Größenordnung erfordert eine Entschuldigung und Erklärung von höchster Ebene – damit die Reichweite dieser eine ebenso große ist, wie die der unsäglichen Aussagen, die von Beginn an zu verhindern gewesen wären. Wir rufen Sie daher auf, die versäumte aufrichtige Entschuldigung persönlich nachzuholen und die Beschäftigung mit dem Themenkomplex Rassismus zur Führungsaufgabe zu machen.
Mit der Installierung einer Integrationsbeauftragten und der Teilnahme an der Partnerinitiative „Vielfalt verbindet“, der wir als Multikulturelles Forum ebenfalls angehören, ist der WDR bereits einige strukturelle Schritte gegangen. Doch zeigt der aktuelle Fall, dass es nicht ausreicht, eine „Ansprechpartnerin für interkulturelle Fragen in der Programmentwicklung“ zu haben, wie es in der Aufgabenbeschreibung der Integrationsbeauftragten steht – vielmehr braucht es offenbar noch mehr Sensibilisierung und Diversifizierung der Redaktionen und effektive interne Prüfmechanismen.
Nur so kann der WDR seinen im Rundfunkstaatsvertrag genannten Aufgaben der Gewährleistung von freier Meinungsbildung und kultureller Vielfalt, der Ausgewogenheit zur Erzeugung von Meinungspluralität und somit auch der Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts gerecht werden.
Mit freundlichen Grüßen
Kenan Küçük
Geschäftsführer Multikulturelles Forum e.V.