Einblick in Forschungsprojekte zur Islamismusprävention
Neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft helfen uns, in unserer Arbeit den richtigen Fokus zu setzen und unerwünschte Effekte zu minimieren. Daher blicken wir in diesem Artikel auf die Ergebnisse zweier Forschungsprojekte.
Abschlusstagung des Forschungsprojektes „Bildung und der Diskurs zur Islamismusprävention. Pädagogische Ambitionen und kontraintentionale Effekte“ der TU Dortmund
Zu den Erwartungen an Pädagog*innen im Kontext Schule zählt heutzutage u.a. auch, Tendenzen einer sogenannten islamistischen Radikalisierung frühzeitig zu erkennen und dieser entgegenzuwirken. Ein Forschungsteam der TU Dortmund geht davon aus, dass diese Erwartung an Pädagog*innen, Teil einer rasanten Entwicklung des Feldes der Islamismusprävention ist, in deren Folge sich entsprechende Routinen und Praktiken in und außerhalb von Schulen etabliert haben. Eine kritische Bestandsaufnahme von derzeit existierenden Programmen, vor allem mit Bezug auf mögliche nicht abgezielte Effekte (etwa Stigmatisierung und Diskriminierung), existiert jedoch noch nicht. Das Projekt der TU Dortmund möchte hierzu einen Beitrag leisten, um diese Forschungslücke zu schließen. Die Forscher*innen möchten grundlegend prüfen, ob und inwiefern derzeitige Formen der Radikalisierungsprävention, auch unbeabsichtigt, Formen des sozialen Ausschlusses und Diskriminierung aufrechterhalten.
Ausgehend davon stellt sich das Forschungsprojekt die Fragen, welche Vorstellungen und Vorannahmen pädagogischer Islamismusprävention zugrunde liegen. Sie gehen der Frage nach, welche Erfahrungen schulische Akteur*innen, insbesondere Schüler*innen, im Rahmen von Islamismusprävention machen und wie die pädagogische Praxis in der Islamismusprävention diskriminierungssensibel gestaltet werden kann?
Das Projekt beobachtete, dass sich das ursprünglich aus dem sicherheitsbehördlichen Bereich entstandene Deutungsmuster der Radikalisierung inzwischen auch in anderen Diskursen etabliert hat. Das heißt, dass nicht nur Sicherheitsbehörden diesem spezifischen Verständnis von Radikalisierung folgen, sondern dieses sich auch in öffentlichen, wissenschaftlichen, politischen, und pädagogischen Diskursen wiederfindet. Problematisch an dieser Entwicklung ist aus Sicht der Forschenden, dass Angebote z.T. als gruppenspezifisch auf Muslim*innen bezogen werden und vor allem in Kontext Schule den jungen Muslim*innen die Individualität und subjektives Gefühl der Zugehörigkeit abgesprochen wird (Verallgemeinerung). Diese gruppenspezifische Lesart des Deutungsmusters der Radikalisierung weist somit in sich auf eine kulturrassistische und problematische Grundausrichtung hin. Davon ausgehend stellt sich das Forschungsteam die Frage nach der „Radikalisierungsforschung“. Diese erscheint den Forscher*innen vor diesem Hintergrund als nachträgliche Legitimationsbasis einer bereits in (Sicherheits-)Politik und Öffentlichkeit erarbeiteten Problemformulierung. Das als im Zentrum stehend vermutete Menschenbild in der Radikalisierungsforschung erweist sich dementsprechend als problematisch, besonders vor dem Hintergrund der Reproduktion von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und den formulierten Intentionen, die dadurch konterkariert werden.
Zwischenbericht/Rückspiegelung zum Forschungsprojekt „Distanzierungsverläufe im Phänomen-Bereich des islamistisch begründeten Extremismus aus Sicht der Beratungspraxis“ der TU Berlin
Ein Forschungsteam der TU Berlin geht der Leitfrage nach, was Distanzierungsprozesse, also Prozesse der Abwendung von Person von extremistischen Überzeugungen, auszeichnet und welche Faktoren und Umstände sich hier förderlich ausdrücken. Sie stellen sich die Frage, wo und bei wem eine Beratung ansetzen kann, um einen Distanzierungsprozess zu unterstützen. Hierzu analysieren die Forschenden das Erfahrungswissen von Beratenden.
Es wurden zehn Gruppeninterviews im gesamten Bundesgebiet geführt. Die Interviews wurden mit Beratenden aus staatlichen und zivilgesellschaftlichen Trägern aus der Sekundär- und Tertiärprävention geführt. Ein zentraler Befund hierbei ist, dass die Mehrheit der Beratenden ein ganzheitliches Verständnis von Distanzierung teilt. Das umfasst Einstellungen und Handlungsorientierungen, aber auch „positive“ Entwicklungen in anderen Bereichen (z.B. sozialen Beziehungen und psychosozialen Ressourcen). Die Beratenden sind auch mehrheitlich der Auffassung, dass Veränderungsprozesse hochgradig individuell verlaufen.
Im Anschluss der Gruppeninterviews mit den Beratenden wurden verschiedene Entwicklungsbereiche von Beratungsnehmer*innen festgehalten. Hierzu zählen die soziale Integration und Lebensperspektiven, Integration und soziale Bindungen, das Aufbrechen rigider Denkstrukturen, das Abrücken vom Islamismus, psychosoziale Ressourcen und individuelle Problematiken. Um auch den Verlauf von Distanzierungsprozessen nachzeichnen zu können, soll zu mehreren Zeitpunkten gemessen, also Interviews geführt werden.
Zudem ist es wichtig, dies für eine große Anzahl an Fällen zu tun, um die Vielseitigkeit des Feldes abzubilden. Eine Fragestellung ist, welche Wechselwirkungen zwischen den Entwicklungsbereichen bestehen, und bei wem welche Entwicklungsbereiche wichtig sind. Anknüpfend an die erwähnten Ideen, stellt sich den Forschenden die Frage, welche Veränderungen es über die Zeit gibt. Abschließend verfolgt das Projekt die Frage, ob u.a. aus Sicht der Sicherheitsbehörden, positive Entwicklungen mit tatsächlichen Verhaltensänderungen korrelieren.