Klare Kante gegen Ultranationalismus - bei der EM und auch anderswo

Kenan Kücük hinter einem Rednerpult mit Mikrofon
© Isabella Thiel
Stellungnahme unseres Geschäftsführers, Kenan Küçük:

Der „Wolfsgruß“, den der türkische Nationalspieler Melih Demiral bei seinem Torjubel im Achtelfinalspiel seiner Mannschaft gegen Österreich zeigte, ist ein Symbol der rechtsextremen „Grauen Wölfe“. Das Zeigen dieses Grußes auf der großen EM-Bühne – noch dazu am 31. Jahrestag des Massakers an Alevit*innen in der türkischen Stadt Sivas durch einen rechtsextremen Mob, der den Brandanschlag mit ebendiesem Gruß feierte – ist ganz sicher nicht nur Ausdruck der Verbundenheit mit „der türkischen Identität“. Was die Einordnung des Handzeichens etwas komplizierter macht, ist die Tatsache, dass der Nationalismus der „Grauen Wölfe“ in der Türkei längst zur etablierten, normalisierten Politikklaviatur gehört. Auch in Deutschland beobachten wir ja spätestens seit der Gründung der AfD, wie politische Diskurse dazu führen können, dass Unsagbares sagbar, Unerhörtes normal werden kann. Solche Entwicklungen führen dazu, dass Narrative und Symbole sich verbreiten können und auch von anderen übernommen werden. So konnte man den „Wolfsgruß“ in den letzten Jahren in der Türkei daher von verschiedensten Akteur*innen immer wieder zu allen möglichen Anlässen sehen. Ganz sicher ist er deshalb nicht unproblematischer geworden, steht er doch für die Überlegenheit des türkischen Islams gegenüber der gesamten Welt und für die – mitunter gewaltsame – Unterdrückung von Minderheiten.

 

Ich verurteile das zur Schaustellen ultranationalistischer und rechtsextremer Symboliken – meine Solidarität gilt allen betroffenen Gruppen, die auch beim Fußballgucken an schreckliche Taten erinnert werden, die ihrer Communities angetan wurden. Der Nationalismus und der Rassismus, der uns aktuell aus den Stadien entgegenschlägt, ist ein Zeichen dafür, wo unsere Gesellschaft und die Gesellschaften unserer Gäste stehen – und nicht nur der türkischen Mannschaft vorbehalten. Ob der albanische Nationalspieler Mirlind Daku, der aufgrund rassistischer Gesänge gegenüber Mazedonier*innen gesperrt wurde, österreichische Fans, die „Ausländer raus“ skandieren, deutsche und italienische Fans, die rechtsextreme Parolen rufen oder den Hitlergruß zeigen, englische Fans, die mit „Stop the boats“-Bannern posieren oder tschechische Fans, die „Defend Europe“-Banner in den Stadien aufspannten: Die EM kann eben nur so weltoffen sein, wie seine Teilnehmenden. Insofern gilt für die EM das, was auch für das gesellschaftliche Miteinander insgesamt gilt: Rassistische und rechtsextreme Haltungen, Äußerungen und Taten müssen Widerspruch und Konsequenzen erfahren.

 

Eine fußballerische Konsequenz für Demiral sowie eine Prüfung des Verbots des Wolfsgrußes sind sicherlich wichtig – noch wichtiger ist meines Erachtens aber die Aufklärungsarbeit. Als Multikulturelles Forum weisen wir seit Jahren auf den Rechtsextremismus als großes Problem für unsere Gesellschaft hin und fordern dabei stets, auch Ungleichwertigkeitsideologien innerhalb der Migrationsgesellschaft im Blick zu haben. Denn Menschen mit türkischer Herkunft können in Deutschland zugleich Opfer und Täter*innen sein: Sie sind in unserer Gesellschaft von Rassismus und Diskriminierung betroffen, können aber selbst z.B. gegenüber Kurd*innen, Alevit*innen oder Armenier*innen bis hin zur Gewaltbereitschaft feindlich eingestellt sein. Gleichzeitig birgt die aktuelle Diskussion die Gefahr, dass Ultranationalist*innen nun den türkischen Kicker nun als Fürsprecher aller Menschen mit Türkeibezug sowie seine Kritiker*innen als Feinde dieser inszenieren. Wir müssen uns der Herausforderung stellen, über die Ideologie aufzuklären und sie zu verurteilen – und dennoch im Dialog zu bleiben. Denn ohne Aufklärungsarbeit und mit einem reinen Verbot wird die Ideologie nicht verschwinden. Ein Verharmlosen der Ideologie würde ihr den Boden für noch mehr Einflussnahme bereiten, eine Stigmatisierung von Jugendlichen, die die Symbolik unreflektiert nutzen, hingegen könnte sie umso mehr in die Arme der Extremist*innen treiben. Insofern braucht es neben konsequenter Beobachtung der Szene vor allem mehr politische Bildung und ein stärkeres Engagement für unsere pluralistische Demokratie: Damit extremistische Narrative enttarnt werden und diese Bewegungen keinen Zulauf mehr bekommen, da sie als zugehörigkeitsstiftender Ort nicht mehr benötigt werden.