"Ohne sie geht nichts mehr" - Migrant*innen und Geflüchtete als Fachkräfte
Gemeinsamer Stakeholder-Workshop „Arbeitsmarkt und Migration“ des Multikulturellen Forums mit der Friedrich-Naumann-Stiftung erarbeitet im Rahmen eines europäischen Projekts Handlungsempfehlungen für eine bessere Synchronisierung der Qualifikationen von Migrant*innen und Geflüchteten mit den Bedarfen des deutschen Arbeitsmarktes.
Rund zwanzig Fachleute kamen am 15.06.2022 auf Einladung des Multikulturellen Forums und der Friedrich-Naumann-Stiftung virtuell zusammen, um das Verhältnis von Arbeitsmarkt und Migration zu beleuchten. Zwei Fachvorträge schafften die Grundlage für die Diskussion: Zunächst stellte Sarah Pierenkämper eine Studie des Instituts für deutsche Wirtschaft vor, die den Beitrag von Migrant*innen und Geflüchteten zur Sicherung der Arbeitskräftebedarfe in Fachkraftberufen deutlich macht: „Ohne sie geht nichts mehr“ lautet der Titel und das Resümee der Studie. Laut Zahlen der Bundesagentur für Arbeit seien immer mehr Migrant*innen und Geflüchtete insbesondere in so genannten Engpassberufen wie der Alten-, Gesundheits- und Krankenpflege, der Bauelektrik oder der Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik tätig. Auch begännen sie überdurchschnittlich oft Ausbildungen in diesen Fachrichtungen und seien somit ein unverzichtbarer Faktor in der Fachkräftegewinnung.
Dass dieses Potenzial noch nicht ausreichend genutzt wird, betont nicht nur Pierenkämper – auch Dr. Thorsten Schlee von der Universität Duisburg-Essen ist überzeugt, dass Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte ein wertvoller Teil des Erwerbspotenzials in Deutschland ist. Nur hapere es an vielen Stellen an adäquater Unterstützung – und vor allem an Strukturen, die einer stetigen Einwanderung gewachsen seien. Als Beispiele führte er die personelle Unterbesetzung von Ausländerbehörden, die regional unzureichenden Schulplätze oder auch restriktive Auslegungen behördlicher Entscheidungen an.
In der anschließenden Diskussion mit verschiedenen Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis war der Tenor klar: Damit die dringend benötigten Fachkräfte gewonnen werden können, brauche es eine stärkere Potenzialorientierung in der Steuerung von Migration und Integration. Ein Perspektivwechsel, weg von der häufig anzutreffenden Defizitbetonung, sowie eine Abkehr von einer reinen Anreizpolitik hin zu einer echten, individuellen Förderung von Stärken und Neigungen könne eine Chance sein, so ein Fazit der Diskussion. Als konkrete Handlungsempfehlungen wurden unter anderem eine stärkere Vernetzung von arbeitsmarktpolitischen Akteuren, die aktive Einbeziehung von Unternehmen und Migrantenorganisationen, Anlaufstellen vor Ort für Unternehmen, die Migrant*innen und Geflüchtete beschäftigen möchten, sowie die adäquate Anerkennung formeller wie informeller Qualifikationen aller Migrant*innen und Geflüchteter unabhängig von ihrem Herkunftsland.
Die Ergebnisse des Stakeholder-Workshops werden, gemeinsam mit Ergebnissen aus vergleichbaren Veranstaltungen in Spanien, Griechenland und der Türkei, dokumentiert und von der Friedrich-Naumann-Stiftung für politische Entscheidungsprozesse aufgearbeitet. Das vom European Liberal Forum (ELF) organisierte Projekt wird unter anderem durch das Europäische Parlament gefördert.