Soziale Arbeit in Zeiten von Corona

Zwei Männer und zwei Frauen mit lustigen DIY-Masken gegen das Coronavirus
© cottonbro von Pexels

Seit dem 16. März sind alle acht Standorte des Multikulturellen Forums für den Publikumsverkehr geschlossen. Wir haben Johanna Berkenkopf, Coach in verschiedenen Arbeitsmarktprojekten, Anja Mölders, Erwerbslosenberaterin, und Nasser Ilayyan, Migrationsberater, um eine Bilanz über einen Monat Beratung und Coaching aus der Ferne gebeten.

Eine soziale Einrichtung und ein Bildungsträger ohne Ratsuchende und Lernende im Haus – war das für euch vorstellbar?

Das war und ist für uns alle natürlich sehr ungewohnt – aber so geht es ja allen aktuell in vielen Situationen. Der Alltag ist einfach ein komplett anderer als sonst – und so sind auch unsere Flure nicht wie sonst voller Menschen mit unterschiedlichen Anliegen, in den Schulungsräumen ist eine gähnende Leere und auch die Büros sind nur vereinzelt besetzt.

Und was machen die etwa 100 Mitarbeitenden des Forums aktuell?

Viele von uns sind im Home Office, einige wenige verteilen sich mit viel Abstand auf die Büros in unseren Standorten. Wir alle tummeln uns bei Skype, Zoom und Co. in Videokonferenzen, wählen uns aus der Ferne in unsere Server ein, telefonieren mit Klient*innen, Teilnehmenden und Kooperationspartner*innen und halten so einen beträchtlichen Anteil unseres Angebots aufrecht.

Frau telefoniert mit dem Handy
Beraterin Anja Mölders im Home Office
Wie war denn für euch als Mitarbeitende der Umstellungsprozess? Wie habt ihr ihn bewerkstelligt?

Wir mussten unsere Arbeitsweise in sehr kurzer Zeit ziemlich umstellen, um so schnell wie möglich so umfassend wie möglich für unsere Zielgruppen da sein zu können. Zunächst ging es um die technische Ausstattung: Wer benötigt einen Laptop fürs Home Office, wer ein Diensthandy? Wie kann ich aus der Ferne auf unseren Server zugreifen? Datenschutz und Vollmachten für Behördenanfragen wurden zum Thema. Schnell war auch klar: Die Arbeitsabläufe werden sich ändern.

Was genau hat sich denn geändert?

Im Präsenzdienst der Erwerbslosenberatung kann ich beispielsweise während einer Beratungssitzung ein Behördenschriftstück begutachten und gleich mit dem Ratsuchenden einen Widerspruch formulieren. Ohne direkten Kontakt müssen die Schriftstücke uns erst zugeschickt werden; klappt das per Handyfoto und E-Mail, geht das zwar fix, manchmal muss es aber der Postweg sein und das bringt natürlich eine Zeitverzögerung mit sich. In der Migrationsberatung hatten wir bereits Erfahrungen mit der Beratung über die Online-Plattform MBEON, die uns nun natürlich zugutegekommen ist.

Erreicht ihr denn alle Ratsuchenden oder habt ihr Sorge, dass nun Menschen ohne Hilfe klarkommen müssen?

Unsere Beratungszahlen haben bislang nicht signifikant abgenommen, das ist ein gutes Zeichen. Wir haben auch sehr schnell kommuniziert, wie wir zu erreichen sind: An unseren Türen, auf unserer Homepage, in der örtlichen Presse haben wir bekanntgegeben, dass wir telefonisch und online weiterarbeiten. Außerdem haben wir unsere regelmäßigen Klient*innen aus den letzten Jahren alle mit einem Infobrief angeschrieben. Inzwischen hat es sich auch dank Mund-zu-Mund-Propaganda gut herumgesprochen, wie wir zu erreichen sind. Wir hoffen sehr, dass sich niemand davon abschrecken lässt, dass wir nun nicht persönlich vor ihm*ihr sitzen können, während wir miteinander sprechen. Gleichzeitig wünschen wir uns natürlich, dass das demnächst wieder möglich sein wird.

Geht das denn? Soziale Arbeit, Beratung, Coaching ohne persönlichen Kontakt vor Ort?

Vieles geht, manches aber auch nicht. Unsere Workshops und Gruppenangebote pausieren derzeit. Aber in der Beratung können wir ohne weiteres sagen, dass wir unsere Qualitätsstandards auch unter den schwierigen Bedingungen halten konnten. Genauso unverändert unterstützen wir unsere Teilnehmenden durch das Coaching in ihrer beruflichen Orientierung, im Bewerbungsprozess und im Finden einer für sie geeigneten Ausbildungs- oder Arbeitsstelle.

Wie gelingt denn insbesondere die Migrationsberatung via Telefon? Gerade das Telefonieren in einer Fremdsprache ist doch eine ganz schöne Hürde, oder nicht?

Natürlich gibt es Ratsuchende, für die das ein Hemmnis ist. Hier machen wir die Erfahrung, dass der Umweg über die schriftliche Kommunikation, bspw. via E-Mail hilft. Denn man hat mehr Zeit zum Verstehen, Nachdenken und Formulieren – und kann auch mal den Google Translator zu Rate ziehen. Insgesamt klappt es aber auch am Telefon recht gut: Zum einen beraten wir ja nicht ausschließlich auf Deutsch, sondern zum Beispiel auch auf Arabisch oder Englisch, und zum anderen haben wir es ja auch viel mit Mehrfachberatungen zu tun, da viele Ratsuchende mit komplizierten Anliegen zu uns kommen, die nicht mit einer einzigen Sitzung erledigt werden können. Insofern kennen uns viele Ratsuchende und wissen, dass wir uns verständigen können.

Frau arbeitet mit Headset und Laptop im Home Office
Projektmitarbeiterin Johanna Berkenkopf coacht ihre Teilnehmenden aus dem Home Office heraus
Und das Coaching aus der Ferne?

In unseren Projekten mit dem Ziel der beruflichen Orientierung und der Arbeitsvermittlung merken wir gerade, dass der kontinuierliche Beziehungsaufbau, auf den wir bei unseren Teilnehmenden immer ganz bewusst setzen, sich nun wirklich auszahlt. Die Teilnehmenden kennen ihre Berater*innen und haben einen persönlichen Kontakt aufgebaut, daher ist es gerade auch trotz Distanz gut möglich, mit ihnen weiter an ihren Anliegen zu arbeiten. Eine Entwicklung, über die wir uns sehr freuen, ist die Tatsache, dass unsere Teilnehmenden es nun ganz aktiv nutzen, dass wir nur einen Anruf entfernt sind. Bisher haben sie das Telefon nur zum Vereinbaren von Terminen genutzt und bei zwischendurch auftretenden Problemen und Fragen den nächsten vereinbarten Termin abgewartet. Nun melden sie sich aktiv und treiben ihre Anliegen weiter voran.

Die aktuellen Umstände haben also nicht nur Nachteile? Gab es andere positiven Überraschungen?

Wir hatten zu Beginn Sorge, wie der Kontakt zu Behörden und Ämtern sein würde, wenn auch diese für den Publikumsverkehr geschlossen sind. Aber da können wir nur sagen, dass nicht nur die Erreichbarkeit sehr gut ist, sondern auch die besondere Hilfsbereitschaft seitens der Behördenmitarbeitenden, aus der schwierigen aktuellen Situation das Beste zu machen. Das ist überhaupt unser Eindruck: Es gibt einen großen Willen, die Krise gemeinsam zu meistern. Jede*r Berater*in kennt es, dass man auch mal die schlechten Launen von Klient*innen abbekommt – im Moment erfahren wir aber tatsächlich eine maximale Flexibilität und einen großen Kooperationswillen sowie viel Dankbarkeit seitens der Projektteilnehmenden und Ratsuchenden. Das tut unheimlich gut.

Was fehlt euch denn in der Arbeit auf Distanz?

Wir sind zwar alle Profis im Videokonferieren geworden, aber die kollegiale Fallberatung ist doch vis-à-vis mit einem gemeinsamen Kaffee deutlich netter.

Was in der telefonischen Beratung von Klient*innen schwerfällt, ist es, am Telefon Stimmungen einzufangen und einzuordnen. Hier ist es wichtig, als Berater*in vermehrt zu spiegeln und zu hinterfragen, um beispielsweise die geschilderte Situation auch wirklich richtig zu verstehen. Gleichzeitig hat uns das gezeigt: Möglicherweise verlässt man sich im persönlichen Gespräch zu sehr auf vermeintliche Erkenntnisse aus Mimik und Gestik und sollte diesen Lerneffekt auch nach der Corona-Zeit in die Beratungen einfließen lassen.

Mann zeigt leeren Wartebereich mit Sesseln
Hier warten normalerweise die Ratsuchenden auf ihre Termine - heute ist Nasser Ilayyan weitgehend alleine in der Geschäftsstelle
Gibt es sonst noch etwas, das ihr aus den jetzigen Erfahrungen in eine Post-Corona-Zeit mitnehmen möchtet?

Die räumliche Trennung von Berater*in und Klient*in hatte in vielen Fällen eine unterstützende Wirkung auf das selbständige Handeln der Klient*innen; für die Förderung der Eigenständigkeit und Selbstwirksamkeit ein absolutes Plus. Einige Aspekte der telefonischen oder Online-Beratung werden wir also sicherlich auch nach Corona verstärkt einsetzen. Aber der persönliche Beziehungsaufbau ist und bleibt das A und O eines gelingenden Beratungsprozesses und wird auch in Zukunft nicht auf Dauer zu ersetzen sein.

Danke für eure Zeit!