Zwischen Diskriminierung und Emanzipation



Fachforum (Junge) Frauen im salafistischen Milieu
Erzkonservative Rollenvorstellungen im salafistischen und radikalislamischen Spektrum scheinen, so widersprüchlich es klingt, für viele (junge) Frauen kein Ausschlusskriterium für die Hinwendung zur jeweiligen Ideologie und Gruppe zu sein. Doch wie kommt es dazu, dass (junge) Frauen in Deutschland sich dazu entschließen, ihr Leben nach der strengen salafistischen Lesart des Islam zu leben? Diese Frage stellte sich das letzte Fachforum im Rahmen unseres Projektes Dortmunder Durchblick.
Einführend gab Projektmitarbeiter Daniel Janssen einen Überblick über islamische Rechtsschulen und die Entwicklung und Ausrichtung des Salafismus. Dieser sei zwar als Ideologie nicht neu, aber als Jugendphänomen in Deutschland erst seit Anfang der 2000er im Blick. Insbesondere sein Anknüpfen an hiesige Themen und Probleme wie beispielsweise die Diskriminierungserfahrungen muslimisch gelesener Menschen, aber auch die Nutzung der deutschen Sprache in der Ansprache neuer "Brüder" und "Schwestern" sind einige der Erfolgsfaktoren des Salafismus in Detuschland. Im Hinblick auf die Berührungspunkte von Pädagog*innen im Kontakt mit Jugendlichen empfahl Janssen in Bezug auf das Thema insbesondere die Schaffung eines Klimas der Akzeptanz:
Fühlen sich die Jugendlichen (auch) in ihrer Religiosität akzeptiert, bekommen extremistische Ideologien erst gar keinen Zugriff auf sie. DIe Wertschätzung von Vielfalt und eine ausgeprägte Widerspruchstoleranz sind die besten Präventionsansätze.
Doktorandin Laura Dickmann, die auf dem Fachforum unter dem Titel „Auf dem Weg der Salaf“ – Lebensgeschichten, Orientierungen und religiöse Praxis junger Salafi-Musliminnen in Deutschland" die Forschungsergebnisse aus ihrer Dissertation vorstellte, machte als Ursachen vor allem die Haltsuche, eine Überforderung mit dem eigenen Leben und die Herkunft aus dysfunktionalen Familien aus. Anschaulich berichtete sie von ihren Interviews mit 25 jungen Frauen aus dem Milieu, zu denen sie über soziale Medien Kontakt aufnahm. Auffällig sei, dass die Frauen mit wenigen Ausnahmen heute, zwei Jahre nach den Interviews, allesamt nicht mehr der Szene angehörten:
Mir scheint es, dass die Hinwendung zum salafistischen Milieu für viele junge, in Deutschland sozialisierte Frauen nur eine Phase in ihrem Leben ist, die sie durchlaufen. Sie geraten häufig durch einschneidende Lebensereignisse in die Szene und entgleiten ihr wieder, sobald sich erneut Entscheidendes in ihrem Leben verändert.
Dass die Problemlagen der Frauen weniger religiöser denn sozialer Natur sind, macht die Arbeit der Wegweiser Beratungsstelle deutlich, die einen Einblick in ihre Fallarbeit gewährte. Mit der Kombination aus sozialpädagogischer Intervention und Empowerment gelinge es, den Frauen - wie auch den Männern in der Beratung - neue Perspektiven aufzuzeigen. Oft helfe den Ratsuchenden die Unterstützung in der beruflichen Orientierung und Ausbildungssuch oder auch die Vermittlung bei Konflikten mit der eigenen Familie. Voraussetzung hierfür sei jedoch zunächst der Aufbau eines stabilen Vertrauensverhältnisses:
Oftmals sind es die Eltern, die den Kontakt zu uns aufnehmen und uns um Hilfe bitten. Die jungen Frauen und Männer dann dazu zu bewegen, unsere Hilfestellung anzunehmen und sich frei von Zwängen neu im Leben zu orientieren ist die erste große Herausforderung in der Beratung.
Die jugendkulturelle Dimension des Salafismus aus der Genderperspektive beleuchtete dann Umut Akkuş von der Fachhochschule Dortmund. Von ihren besonderen Events bis hin zu ihren Szenelokalen, vom Lifestyle bis zum Szenejargon stellte Akkuş verschiedene jugendkulturelle Dimensionen des Salafismus vor, die zu einem starken Zugehörigkeitsgefühl führen. Die Attraktivität stregerer religiöser Ansichten machte er vor allem daran fest, dass diese einen Gegenentwurf zum westlichen Lebensstil aber auch eine Abgrenzung von der Elterngeneration böten, die Komplexität der Welt durch klare Vorgaben und Regeln fassbarer machten und durch eine starke Gemeinschaft und einen engen Zusammenhalt das Bedürfnis nach Geborgenheit stillten.