„Der Druck ist auch bei uns spürbar“

Zwei Menschen tragen Banner mit Aufschrift "Kein Mensch ist illegal"
© Mika Baumeister / unsplash

Die aktuelle Asylpolitik und ihre Folgen vor Ort

Mit dem „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ soll vor allem Abschiebung forciert, Sozialleistungen gekürzt und Duldungen erschwert werden. Wie schätzt ihr die Lage in Bezug auf die Ratsuchenden nach Inkrafttreten dieses Gesetzes ein?

Jannik: Für viele unserer Klient*innen ist damit eine weitere Verschlechterung ihrer ohnehin schon prekären Lage verbunden. Die permanente Angst vor Abschiebung ist mit hohen psychischen Belastungen verbunden. Wenn jetzt auch noch Gefängnis droht, wird es noch schlimmer.

Soudabeh: Zudem liest sich der Entwurf so, als seien die Geflüchteten selbst schuld, wenn sie ihre Identität nicht vorweisen können. Die Realität ist aber oft, dass die Botschaften gar kein Interesse daran haben, ihnen Dokumente auszustellen. Diese Menschen fallen dann ohne Eigenverschuldung unter das Existenzminimum. Das betrifft übrigens auch die so genannten Dublin-Fälle, selbst wenn diese noch in laufenden Gerichtsverfahren stecken, weil beispielsweise in Ländern wie Griechenland oder Italien menschenunwürdige Aufnahmebedignungen herrschen.

Bemerkt ihr schon jetzt Veränderungen in eurer täglichen Arbeit mit Geflüchteten?

Jannik: Auf jeden Fall! Der politische Druck ist auch bei uns spürbar. So werden zum Beispiel schon jetzt immer häufiger Sach- statt Geldleistungen gewährt. Das führt in der Praxis dazu, dass sich die Menschen keine Rechtsanwälte mehr leisten können. Viele Anwälte erwarten aus nachvollziehbaren Gründen  zunächst einen Vorschuss, da sie im Falle einer gescheiterten Klage sonst kein Geld erhalten würden. Prozesskostenhilfe gibt es nämlich nur bei Aussicht auf erfolgreiche Klagen, und das ist im Einzelfall nicht immer leicht zu prognostizieren. Wir einigen uns mit den Anwälten dann meist auf Ratenzahlungen, sonst könnten die Betroffenen ihren Rechtsanspruch überhaupt nicht wahrnehmen.

Soudabeh: Ein anderes Beispiel betrifft die Zustellung von Bescheiden über den Aufenthaltsstatus, die immer häufiger zu ungünstigen Zeitpunkten erfolgt, etwa vor  Überstellungen von Erstaufnahme- in Zentrale Unterkunfteinrichtungen. Dann ist es natürlich schwieriger, Widerspruch gegen Entscheidungen fristgerecht (in der Regel innerhalb von einer bis zwei Wochen) einzulegen.

Könnt ihr konkrete Fälle schildern, bei denen ihr das Gefühl hattet, dass Behörden unter Abschiebedruck geraten?

Jannik: Da ist zum Beispiel ein intelligenzgeminderter Vater mit zwei volljährigen Söhnen, denen die Abschiebung droht. Weil sie den Vater nicht alleine lassen können, hat einer von ihnen die gesetzliche Vormundschaft beantragt. Diese wurde zunächst abgelehnt. Daraufhin wurde ein ärztliches Gutachten erwirkt, doch dieses hat die Bewilligungsbehörde nie erreicht und ist bei keiner Zwischeninstanz auffindbar.

Soudabeh: Oder ein Mann in einer Zentralen Unterbringungseinrichtung für Flüchtlinge. Seine schwangere Frau mit zwei Kindern ist in einem anderen Bundesland untergebracht. Die Frau ist psychisch krank, benötigt dringend die Unterstützung durch den Vater. Doch eine direkte Zuweisung in ein anderes Bundesland ist offenbar nicht möglich. Zunächst müsse der Mann in eine andere Kommune innerhalb NRW zugewiesen werden, was sich aber immer wieder verzögert. Gleichzeitig droht die Ausländerbehörde dem Mann mit Abschiebung. Eine unerträgliche Situation!

Jannik: Diese Beispiele zeigen die Kluft zwischen gesetzlichen Regelungen auf der einen und individuellen Schicksalen auf der anderen Seite. Dazwischen gibt es oft Ermessensspielräume, die im konkreten Fall überaus wichtig sind. Doch wenn der Druck von oben, häufiger und schneller abzuschieben, wächst, kann das für einzelne Menschen und Familien schwerwiegende Folgen haben. Wir tun vor Ort unser bestes, um hier faire und gerechte Entscheidungen zu erwirken. Aber unsere Arbeit ist deutlich schwieriger geworden.

Im Gespräch mit...

Soudabeh Aziminejad und Jannik Willers arbeiten in der regionalen Flüchtlingsberatung beim Multikulturellen Forum in Hamm.

Sie unterstützen und begleiten Geflüchtete während ihrer Asylverfahren und im Anschluss daran. Die Angebote umfassen Hilfestellungen bei persönlichen Problemen, allgemeine Orientierungshilfen, Begleitungen bei Behördengängen, Unterstützung beim Ausfüllen von Formularen, Informationen und Hilfen bei asyl-, aufenthalts- und sozialrechtlichen Fragen sowie Vermittlungstätigkeiten zwischen den Geflüchteten und den Behörden.

Des Weiteren führen Soudabeh Aziminejad und Jannik Willers die Asylverfahrensberatung in der Landeseinrichtung in Hamm durch. Dort beraten sie Geflüchtete in Hinsicht auf ihr Asyl- und Klageverfahren. Sie stellt damit in der Regel für die Geflüchteten eine wichtige Instanz der Informierung und Beratung dar.

Ohne ihre Leistungen wären Geflüchtete weitgehend auf sich allein gestellt und könnten weder Verfahrensabläufe noch daraus resultierende Entscheidungen nachvollziehen, geschweige denn positiv beeinflussen. Zudem hätten sie kaum Chancen, sich gegen Entscheidungen oder Verfahrensfehler zu wehren. Durch die Vernetzung mit anderen Angeboten des Multikulturellen Forums erhalten die Geflüchteten zudem schnellen Zugang zu Integrationsleistungen wie Sprachkursen, Praktikums- und Ausbildungsvermittlung oder Beratungen, etwa zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse oder zu berufsbezogenen Weiterbildungen.

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