Diskriminierung, Stigmatisierung und Beschimpfungen an Schulen
Fachtagung erstmalig im Online Stream
Welche Verantwortung tragen Politik, Familie, Gesellschaft und Lehrer*innenbildung?
Wie durchbrechen wir die Allianz von Haltung und Handlung, Vorurteil und Unwissenheit?
Welche Rolle spielt das System Schule als entscheidende staatliche Bildungs- und Erziehungsinstanz?
Was können wir konkret tun, wenn sich Rassismus und Diskriminierung im Kontext Schule äußern?
Diese und andere Fragen wurden am 8. September 2020 im Rahmen einer digitalen Fachtagung der Düsseldorfer Integrationsagenturen unter aktiver Mitwirkung unserer pädagogischen Mitarbeiterin Rabea Tutaş diskutiert. Die Online-Veranstaltung wurde aufgezeichnet und steht Interessierten an dieser Stelle zur Verfügung:
Alltagsrassismus in Schulen
Dass Menschen aufgrund ihres Aussehens, ihrer ethnischen Herkunft oder religiösen Zugehörigkeit in ganz unterschiedlichen Alltagssituationen diskriminiert werden, dürfte auch außerhalb der Fachwelt auf einen breiten Konsens stoßen.
Als möglicher Ausweg aus diesen unerwünschten Zuständen wird dann schnell auf die Bedeutung von Bildung hingewiesen. Bildung als Schlüssel für sozialen Aufstieg des Einzelnen und als Garant für eine sich mittelfristig nivellierende Gesellschaft, die keine Ausgrenzung nötig hat.
Außerdem wird auf die Bildungsinstitutionen gesetzt, wenn es darum geht, Diskriminierung und Rassismus zu verhindern. Denn wo könnte vorurteilsfreie Erziehung und Wertschätzung für gesellschaftliche Diversität besser gelehrt und vorgelebt werden als in der Schule?
Die Realität ist jedoch oft eine Andere: Mitnichten sind Schulen Orte des friedlichen Miteinanders. Stigmatisierungen, Beschimpfungen, sogar körperliche Übergriffe finden auch hier statt, wenngleich sich Schulen bisweilen schwer damit tun, etwaige Zustände öffentlich einzugestehen.
Lehrkräfte fühlen sich oft überfordert damit, auf rassistische oder antisemitische Vorfälle adäquat zu reagieren. Und nicht selten sind sie es sogar selbst, die durch ihre Bewertungs- und Verhaltensmuster eben solche auf Stereotype und Vorurteile basierende gesellschaftliche Selektionsmechanismen immer wieder reproduzieren.
Was kann also konkret getan werden, um diesen Teufelskreis aus Haltung und Handlung, Vorurteil und Unwissenheit zu durchbrechen?
Dahinter stehende Denkmuster in den Fokus nehmen
"Diskriminierung ist ein Ausdruck von Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus". Dies macht Prof. Dr. Astrid Messerschmidt gleich zu Beginn ihres Vortrages klar. Die Professorin für Erziehungswissenschaft an der Universität Wuppertal setzt den Fokus auf die dahinter stehenden Denkmuster, die jede Form von Ungleichbehandlung innehat.
Ausschlaggebend sind für sie sowohl das postkoloniale Erbe Europas als auch die Nachwirkungen aus der NS-Verbrechensgeschichte, einschließlich ihrer (mangelhaften) Aufarbeitung. Ob Rassismus, Antisemitismus oder Antiziganismus, alle drei Phänomene haben historische Wurzeln. Und mit dem Ende des Kolonialismus, der Befreiung vom Nationalsozialismus und der Einführung der Demokratie sind die alten Denkmuster ja nicht einfach verschwunden.
Unser Alltag ist nach wie vor durchsetzt von verschiedensten Rassismen, die mehr oder weniger nach den gleichen Mustern ablaufen: Bestimmte Bevölkerungsgruppen werden zu "Fremden" erklärt. Die eigene Gruppe wird diesen gegenüber als überlegen (bzw. im Falle des Antisemitismus als unterlegen) angesehen.
Nahezu jede*r hat rassistische Bewertungsmuster in der einen oder anderen Form verinnerlicht. Bewusst ist es ihnen oft nicht, weshalb sich viele gerne zur Aussage verleiten lassen, sie "haben es doch gar nicht so gemeint".
Mit Selbstreflektion beginnen
Um Alltagsrassismus wirkungsvoll zu bekämpfen, ist aber gerade die Auseinandersetzung mit den eigenen Denkmustern wichtig. Dies gilt umso mehr für Pädagog*innen, denn allein durch die Aneignung kognitiver Wissens- und Verhaltenskompetenzen lässt sich das Phänomen an Schulen nicht in den Griff bekommen.
Natürlich ist das Wissen über die Entstehung von Feindbildern, politischen und ethnischen Konflikten überaus wichtig. Auch über methodisches Handwerk wie Mediation, Deeskalation und Intervention sollten Pädagog*innen flächendeckend verfügen. Neben der kognitiven Ebene spielen aber auch strukturelle und affektive Aspekte eine wichtige Rolle.
"Wir müssen als pädagogische Fachkräfte aber nicht nur sachkundig sein, sondern auch handlungswillig und handlungsfähig", betont Myrle Dziak-Mahler, Geschäftsführerin des Zentrum für Lehrer_Innenbildung an der Universität Köln.
Mit "handlungswillig" meint Dziak-Mahler nichts geringeres als die eigene Haltung. Jede Wahrnehmung führt zu einer Bewertung, die wiederum ein Gefühl auslöst, aus dem ein bestimmtes Verhalten resultiert. Um tatsächliche Veränderungen zu bewirken, müssen Pädagog*innen zunächst an der Bewertung, einer rein affektiv-emotionalen Ebene, ansetzen.
Hierbei ist es hilfreich, sich immer wieder selbst zu reflektieren: Woher kommt meine eigene Wahrnehmung? Gibt es Schlüsselereignisse oder Personen in meiner eigenen Biografie, die an dieser Stelle prägend waren oder sind? Welche familiäre Prägung oder habe ich selbst erfahren?
Strukturelle Rahmenbedingungen erforderlich
Ebenso wichtig ist aber auch die Handlungsfähigkeit. Diese hängt wiederum maßgeblich von der jeweiligen Schulkultur ab. Ist meine Schule beispielsweise eine "Schule ohne Rassismus", sind rassistische oder antisemitische Vorfälle zwar ebenso möglich wie in anderen Schulen. Aber möglicherweise erfahre ich mehr Solidarität und Ressourcen, wenn es um deren Aufklärung geht.
Am Ende besteht Einigkeit bei allen Beteiligten der Fachtagung: Im Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus an Schulen ist die Bedeutung der Lehrkräfte sehr zentral. Ob sie Erfolg haben, hängt im wesentlich von deren Haltung, Wissensressourcen und ihrer strukturellen Umgebung ab. Greifen diese drei Faktoren gut ineinander, kann die Schule den Erfordernissen einer dersitätsgerechten und diskriminierungsfreien Bildung in einer Migrationsgesellschaft gerecht werden.