Rassismus und Intoleranz in Deutschland - ein Lagebericht der ECRI

Das Europarat-Denkmal in Strasbourg

Lob, Kritik und Empfehlungen

Am 17. März 2020 veröffentlichte die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) ihren nunmehr sechsten Bericht über die Lage in Deutschland zu den Themen Rassismus, Antisemitismus, LSBTI-Feindlichkeit und Intoleranz. Darin lobte die Kommission ausdrücklich die Anstrengungen der Bundesrepublik zur Integration vieler geflüchteter Menschen in die Gesellschaft, insbesondere in das Arbeitsleben, sowie die zahlreichen Maßnahmen zur Bekämpfung von Rassismus, Homophobie und Transphobie.

Sorge bereitet den Verfasser*innen vor allem die steigende Islamfeindlichkeit sowie die zunehmend menschenverachtende Rhetorik der extremen Rechte, die sich auch auf den allgemeinen politischen Diskurs niederschlägt. Die Kommission empfiehlt zudem den flächendeckenden Aufbau von Antidiskriminierungsstrukturen sowie die bessere Qualifizierung von Personal in bestehenden Institutionen wie Schulen und Polizeibehörden, insbesondere im Umgang mit kultureller Vielfalt.

Was ist ECRI

Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) wurde vom Europarat ins Leben gerufen und ist ein unabhängiges Gremium, das über die Einhaltung der Menschenrechte wacht. Im Fokus steht die Bekämpfung von Rassismus, Diskriminierung (aufgrund von „Rasse", ethnischer/nationaler Herkunft, Hautfarbe, Staatsangehörigkeit, Religion, Sprache, sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität), gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Antisemitismus und Intoleranz.

In regelmäßigen Abständen erstellt die ECRI für jedes Land Länderberichte, in denen die Situation in Bezug auf Rassismus und Intoleranz in jedem Mitgliedstaat des Europarates analysiert und Vorschläge zur Lösung der aufgezeigten Probleme unterbreitet werden. Der nun veröffentlichte Bericht beleuchtet die Lage in Deutschland im Zeitraum zwischen 2014 und 2019 und enthält zahlreiche Empfehlungen an Bund, Länder und Kommunen.

Einsatz gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit

Positiv bewertet die Kommission die vielen Projekte gegen Rassismus, Homophobie und Transphobie, insbesondere an Schulen, aber auch im außerschulischen Bereich. In diesem Zusammenhang weist ECRI besonders auf das Bundesprogramm „Demokratie leben!” hin, in dessen Rahmen auch wir in der Vergangenheit ebenfalls verschiedene Projekte wie "Objektiv - Junge Medienmacher mit Durchblick" oder "Dortmunder Durchblick" durchgeführt haben.

Jugendliche disktutieren zum Thema Hate Speech
© Dennis Treu
Workshop mit Schüler*innen im Rahmen von "Objektiv" (2017)

 

Umso bedauerlicher und unverständlicher finden wir es, dass durch die Umstrukturierung des Programms in diesem Jahr zahlreiche wichtige Projekte aus der Förderung ausgeschlossen wurden und erfahrene wie fachkundige Projektträger nun um ihre Existenz fürchten müssen. Dadurch vergeudet das Land große Teile dieses international gewürdigten zivilgesellschaftlichen Potenzials gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.

Hass und Hetze nehmen zu

Der ECRI bereitet der hohe Grad an Islamophobie in Deutschland Sorge. Zudem sei der öffentliche Diskurs zunehmend rassistischer geworden. Insbesondere die völkisch-nationalistische Rhetorik der AfD, die sich auch auf den allgemeinen politischen Diskurs niederschlägt, mache diese Problematik offenkundig. Auch die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten ist in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen.

Die Kommission verweist in diesem Zusammenhang auf eine neuere weltweite Studie, in welcher Deutschland zu den Staaten mit dem höchsten Grad an sozialer Feindseligkeit gehört (3. Platz unter den 47 Mitgliedsstaaten des Europarats) - Tendenz steigend. Sinti und Roma sind dabei besonders stark Diskriminierung und Diffamierung ausgesetzt. Die am häufigsten betroffene religiöse Gruppe in Deutschland sind Muslime.

Mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen stellen wir mit großer Sorge fest, dass selbst (oder gerade) in Zeiten der Corona-Krise Hass- und Hetzkampagnen im Netz eine neue Dimension erreichen (vgl. bspw. Report Mainz am 24.03.2020). Besonders betroffen sind neben Staatsrepräsentant*innen geflüchtete und zugewanderte Menschen. Zudem beschränkt sich der Hass nicht nur auf das World Wide Web. Expert*innen warnen bereits vor zunehmenden Übergriffen und rechtsextremen Anschlägen.

Gefordert werden deshalb Maßnahmen, um insbesondere Hassrede wirksamer zu verhindern und zu bekämpfen. Dazu zählen laut ECRI

Aufklärungskampagnen, Prävention und Gegendarstellungen, Unterstützung der Opfer, Selbstregulierung, der Einsatz gesetzlicher Befugnisse und, als letztes Mittel, strafrechtliche Ermittlungen und Bestrafung.

Bei diesen Maßnahmen müssen staatliche Regulierungen und Förderstrukturen für zivilgesellschaftliches Engagement Hand in Hand gehen. Beide Bereiche sind aus unserer Sicht in Deutschland deutlich ausbaufähig.

 

Frau hängt Karte mit der Aufschrift "Prävention" an eine Pinnwand, vier junge Workshopteilnehmende schauen zu
© Isabella Thiel
Präventionsangebote beim Multikulturellen Forum

 

Wir brauchen endlich flächendeckende und langfristige Präventionsprogramme auf Bundes- oder Landesebene zur Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus, Antiziganismus und Antisemitismus. Durch qualifizierte Bildungs-, Begegnungs- und Vernetzungsformate können diese Phänomene frühzeitig erkannt und unterbunden werden. Beispielhaft sei an dieser Stelle unser Projekt "Muslime im Dialog" zu nennen, das im Rahmen der Deutschen Islam Konferenz durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat gefördert wird. Der Ausbau und die Verstetigung solcher Projekte ist bei der Bekämpfung von Rassismus und Intoleranz unerlässlich.

Integration von Geflüchteten

Mit lobenden Worten verweist die ECRI auf die im Berichtszeitraum vorherrschende Willkommenskultur in Deutschland. Besonders im Jahr 2015 habe das Land eine außergewöhnlich große Anzahl von Asylsuchenden aufgenommen und Hunderttausende von Menschen mobilisiert, um die Neuankömmlinge adäquat zu unterstützen. Die Behörden haben zudem viele Ressourcen in die frühzeitige Integration in Deutschland investiert. Den großzügig ausgelegten Zugang zu Sprach- und Integrationskursen würdigt die ECRI ausdrücklich.

Auch bei der Integration in den Arbeitsmarkt erhält Deutschland Bestnoten: Eine signifikante Anzahl von Geflüchteten hat einen Arbeitsplatz gefunden. Auch die Erwerbsquote von Menschen mit Migrationshintergrund nähert sich allmählich der Durchschnittsquote in Deutschland an.

vier Frauen verschiedenen Alters
© Martin Urner
Projekte des MkF zur Erwerbsintegration von Mütter mit Migrationshintergrund

 

Trotz positiver Entwicklung liegt die Arbeitslosenquote bei Menschen mit Migrationshintergrund weiterhin deutlich über der der restlichen Bevölkerung - und besonders groß ist die Kluft bei den Frauen. Daher müssen zielgruppenspezifische Ansätze zur Erwerbsintegration von Menschen (insbesondere Frauen) mit Migrationshintergrund weitergeführt und  ausgebaut werden.

Neben Sprache und Bildung erkennt die ECRI auch Diskriminierung als einer der Faktoren für die bestehende Benachteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund auf dem Arbeitsmarkt an. Mit Verweis auf Studien hebt die Kommission eine besonders starke Diskriminierung von Muslim*innen und People of Colour hervor. 

Die ECRI ruft deshalb Behörden dazu auf, verstärkt Maßnahmen zur Eindämmung von Diskriminierung zu ergreifen. So sollen ein flächendeckendes Unterstützungssystem für Opfer von Diskriminierung sowie unabhängige Gleichheitsstellen eingerichtet werden

Außerdem fordert die ECRI von den Behörden, "den positiven Ansatz zur Motivierung von Arbeitgebern, Vielfalt zu akzeptieren, fortzuführen". Uns irritiert an dieser Stelle die Formulierung der Kommission, "Vielfalt zu akzeptieren". Nach 15 Jahren Erfahrung mit der Verleihung des "Interkulturellen Wirtschaftspreises" teilen wir mit einer Vielzahl an Partnern aus der Wirtschaft die Überzeugung, dass Unternehmen und Verwaltungen nur dann zukunftsfähig bleiben, wenn sie "Vielfalt als Chance begreifen" und sie in ihre Unternehmenskultur fest verankern.

Racial Profiling

Der Bericht der ECRI thematisiert auch das Thema "Racial Profiling" und beruft sich dabei u.a. auf die Expertengruppe der Vereinten Nationen zu Menschen afrikanischer Abstammung. Diese kam im jahr 2017 zu dem Schluss, dass

"Racial Profiling unter deutschen Polizeikräften weit verbreitet sei. Laut einer Studie aus dem Jahr 2017 erklärten 34 % der Befragten schwarzafrikanischer Abstammung, sie seien in den fünf Jahren vor der Umfrage von der Polizei angehalten worden, und 14 % glaubten, dies sei aufgrund ihres Status als Migrant oder ethnischen Abstammung geschehen.

Auch wenn es starke Indizien für ein ausgeprägtes Racial Profiling gibt, sind sich viele Polizeidienststellen und -vertreter*innen dessen nicht bewusst oder leugnen das Phänomen. Aus unserer Sicht haben jedoch einige Behörden durchaus begonnen, sich mit dem Thema eingängiger zu beschäftigen. So haben wir im Rahmen unserer Projekte zur interkulturellen Öffnung von Verwaltungen bereits erste Sensibilisierung- und Qualifizierungsmaßnahmen mit Behörden aus der Region initiieren und realisieren können.

Vortrag zum Thema "Religion im Schulalltag"
Fachforum zum Thema „Religion im Schulalltag" (2018)

Vielfalt im Klassenzimmer

Auch pädagogischen Fachkräften gehören seit vielen Jahren zu unserer Zielgruppe und wir schulen diese im Umgang mit kultureller Vielfalt. Damit greifen wir einer Forderung der ECRI nach verbesserter Qualifizierung von Lehrkräften im Hinblick auf das Unterrichten in multikulturellen Klassen vor. Laut Kommission sollen diese

"einen qualitativ guten und inklusiven Unterricht in vielfältigen Klassen bieten, in Fälle von Mobbing und Diskriminierung eingreifen und auf diesem Wege Bedingungen schaffen können, unter denen die Schüler jeglicher Herkunft in einem geschützten Raum aufwachsen, ihr volles Potenzial entwickeln und die bestmöglichen schulischen Ergebnisse erreichen können."

In unserer Funktion als Migrantenorganisation, Facheinrichtung und Interessensvertretung zur Förderung von Teilhabe und Chancengleichheit teilen wir im wesentlichen die Erkenntnisse und Forderungen der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz. Deutschland hat in den vergangenen Jahren auf dem Gebiet der Förderung von Vielfalt vieles erreicht. In einigen Bereichen gibt es jedoch noch deutlichen Nachholbedarf. Vor allem aber gilt es heute mehr denn je, die Errungenschaften aktiv zu verteidigen und sich engagiert und laut gegen jede Form von Rückwärtsgewandtheit zu wehren.