Präventionsmaßnahmen zielen darauf ab eine emotionale und/oder kognitive Annährung an demokratie- oder menschenfeindliche Gruppierungen, Haltungen oder Ideologien, frühzeitig zu identifizieren, einzuschätzen und durch spezifische Maßnahmen zu verhindern oder einen weiteren Radikalisierungsverlauf zu stoppen.
In der Präventionsarbeit können drei Ebenen unterschieden werden:
In der primären Präventionsarbeit ist das Vorgehen allgemein und universell und nicht zielgruppenspezifisch. Insbesondere bei der Präventionsarbeit gegen gewaltbereiten Salafismus und Islamismus zeigt die Erfahrung, dass es nicht darum geht bestimmte Gruppen (z.B. muslimische oder als muslimisch markierte Jugendliche) als „gefährdete“ Zielgruppe anzusprechen (vgl. Othering). In offenen Bildungsangeboten (z.B. im Klassenverbund) geht es vielmehr um eine allgemeine Haltungsarbeit und kritische Auseinandersetzung mit demokratie- und menschenfeindlichen Ideologien und Eindeutigkeitsangeboten.
In der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen geht es darum, diese gegen Radikalisierungsprozesse zu „immunisieren“, d.h. ihre Resilienz zu stärken und damit das Risiko für eine Annäherung an politische oder religiöse Ideologien zu vermindern. Die Aspekte Persönlichkeitsentwicklung, Wissensvermittlung, Kompetenzentwicklung und Empowerment spielen hier eine außerordentliche Rolle.
Im Bereich der sekundären Prävention greifen spezifische präventive Interventionsmaßnahmen zusammen mit den Jugendlichen bzw. auch deren Umfeld, bei denen erste Anzeichen auf eine Radikalisierung oder Auffälligkeiten für demokratie- und menschenfeindliche Ideologien zu erkennen sind. Hier wird zielgruppenspezifisch gearbeitet, um in einem frühen Stadium einen weiteren Radikalisierungsverlauf zu verhindern.
In der tertiären Prävention geht es um Distanzierungs- und Deradikalisierungsprozesse. Im Gegensatz zur Präventionsarbeit im eigentlichen Sinn greifen hier hochspezifische/individuelle Maßnahmen z.B. durch Exit-Programme oder Rehabilitations-/Resozialisierungsprogramme, um bereits radikalisierte oder extremistische Akteure zu „deradikalisieren“.
Präventionsarbeit beim Multikulturellen Forum
In unserem Fachbereich Gesellschaft und Prävention arbeiten wir in unterschiedlichen Projekten mit dem Ziel, die Demokratiekompetenz und Widerspruchstoleranz zu stärken, zu einer kritischen Auseinandersetzung mit demokratie- und menschenfeindlichen Ideologien anzuregen sowie zu einer vielfaltsbewussten Haltung als Individuum sowie auch als Institution hinzusteuern.
Im Präventionsprogramm Wegweiser arbeiten wir im Bereich der primären und sekundären Prävention. Unsere präventiven Ansätze beinhalten sowohl inhaltliche Auseinandersetzungen mit demokratie- und menschenfeindlichen Einstellungen als auch die Förderung eines reflektierten Umgangs mit Fragen von Religion, Identität und Zugehörigkeit. Zudem ist die Stärkung von sozialen und kommunikativen Kompetenzen u.a. im Umgang mit gesellschaftlichen und kulturellen Unterschieden sowie individuelle Hilfestellungen in persönlichen und familiären Konfliktlagen zentrales Anliegen im Beratungsprozess.
In der pädagogischen Arbeit spielt Anerkennung und Wertschätzung der Jugendlichen eine besonders wichtige Rolle, die Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen berücksichtigen sowie ein ressourcenorientierter Beratungsansatz, der es den Jugendlichen ermöglicht, Empathie und Perspektivwechsel als auch eigene Kompetenzen zu erkennen und zu stärken.
Zugleich beschränkt sich Prävention nicht auf eine Arbeit mit potenziell „gefährdeten“ Jugendlichen und jungen Erwachsene, sondern erfordert eine gesellschaftliche Öffnung, die Partizipation und Chancengleichheit unabhängig von Religion und Herkunft ermöglicht. An dieser Stelle setzt auch die Sensibilisierungsarbeit mit Multiplikator:innen (Lehrer:innen, Schulsozialarbeiter:innen, pädagogische Fachkräfte etc.) an
Eine vielfaltsorientierte und religionsakzeptierende Haltung in Einrichtungen und Institutionen als auch die Qualifikation der Multiplikator:innen bezüglich Wissen über gesellschaftliche Vielfalt ist wesentlicher Bestandteil einer erfolgreichen Präventionsstrategie. Für Multiplikator:innen gilt hier die besondere Aufgabe, Ausgrenzungs- und Rassismuserfahrungen von jungen Menschen anzuerkennen und sie nicht als Problemfälle zu markieren. Gleichzeitig sollen Multiplikator:innen in die Lage versetzt werden, eigenes Handeln zu reflektieren und eigene Wissensbestände kritisch zu hinterfragen.
Quellen:
Ceylan, Rauf; Kiefer, Michael (2013): Salafismus. Fundamentalistische Strömungen und Radikalisierungsprävention, Wiesbaden: Springer VS
El-Mafaalani, Aladin et al. (2016): Ansätze und Erfahrungen der Präventions- und Deradikalisierungsarbeit, HSFK-Report Nr. 6/2016, Frankfurt a.M, hrsg. von Janusz Biene, Christopher Daase, Svenja Gertheiss, Julian Junk, Harald Müller